Der Junge im Zug nach Halifax.

Es gibt Zufälle im leben, über die man sich sicher noch einige Zeit nachdem sie passiert sind wundern wird. Es gibt Tage an denen es mir unglaublich leicht fällt neue Menschen kennen zu lernen, und so ein Tag war gestern.

so haben ich zum Beispiel gestern auf einer Zugfahrt von New Brunswick, Miramichi nach Nova Scotia, Halifax eine wundervolle Bekanntschaft gemacht.

Ich saß mit drei weiteren Freunden aus China und Brasilien im Zug, als ein junger Mann einstieg. Wir gerieten immer öfters in Blickkontakt und irgendetwas an ihm hat mich immer wieder dazu gebracht in seine Richtung zu schauen, und natürlich haben wir nach kurzer Zeit begonnen zu reden.

zu anfang haben wir ersteinmal nebensächlichkeiten wie Name, alter und Hobbys ausgetauscht. Nachdem meine Freunde nach und nach schlafen gegangen sind, saß ich also alleine mit diesem unbekanntem Fremden im Zug. Nach einiger zeit habe ich also herausgefunden dass ich ein Gespräch mit einem 18 Jährigen Marokkaner führe der seit zwei Jahren in Quebec lebt, fließend Arabisch, Französisch und Englisch spricht und eine unglaublich guten Geschmack hat was Unterhaltlungen betrifft. Seine Eltern haben beide im Ausland studiert und schicken ihre drei Kinder seitdem sie elf Jahre alt sind mehr oder weniger um die Welt. Insofern haben wir viele Gemeinsamkeiten. Neben reisen, lesen, Philospohie und Kunst ahben wir dann herausgefunden dass wir gleichermaßen auch in Politik, Religion, Geschichte und aktuelle Themen interessiert sind.

irgendwann saßen wir uns dann gegenüber, haben Pistazien geteilt und über Gott und die Welt geredet. Und es gab keine Hemmschwelle. Das war wohl das schönste an unserer Unterhaltung. Zwei fremde, sitzend in einem Zugabteil in einem für beide gleichermaßen fremden Land, reden über Gott und die Welt, mit dem gleichen Verlangen nach Leben und einem wundervollen Sinn für humorvolle intellektuelle Unterhaltungen.

Wir haben unsere Gedanken über missverständnisse wie das Bart-Turban Syndrom und  Allahu Akbar geteilt, über Magie und das Marrokanische Orient geredet, und Deutschland in seine Jahrzehnte unterteilt.
Und ich kann wirklich nicht behaupten, dass ich oft solch tiefe intellektuelle Konversationen mit fremden habe. Es war witzig denn es war gelassen. wir konnten den Hitlergruß und Allahu Akbar sagen mit einem lachen im Gesicht.

Und damit meine ich nicht dass wir darüber gelacht haben. oder denken dass es nicht unsere Probleme sind. Ganz im gegenteil. Es war nur ein wunderschöner kurzer Moment in meinem leben in dem ich meine Sorgen und Gedanken bedenkenlos mit einem Wildfremden Afrikaner in Kanada teilen konnte.

Andere Themen unseres vierstündigen Gespräches waren zum beispiel berufungen, glaube und berufe.
Jemanden auf diese Art und Weise zu treffen hat für mich immer etwas wunderschönes und zugleich etwas Melancholisches. Es treffen Fernweh, Heimweh, Geschichten und Pläne aufeinander. Zwei Welten vereint in einem Zugabteil. Gedanken teilen mit Fremden und nicht wissen was diese Menschen mit den Gedanken anstellen. Zwei Seelen mit dem selben Horizont.

Ich glaube dieser junge Mann weiß mehr von mir als Menschen die ich schon für einige Jahre kenne.
Oftmals fällt es mir leichter Gedanken mit Menschen zu teilen die ich nicht kenne, da mein Gedanke bei ihnen keine folgen für mich hat und roh und unberührt bleibt. Es fühlt sich so an als würde er rein und behütet durch die Köpfe fremder gehen und so immer weitere Kreise ziehen. Und vielleicht kommt er eines Tages zurück. Wie ein Geldschein den ich vor langer zeit benutzt habe. Verwandelt, berührt und benutzt, aber immer noch ein alter Besitztum von mir. Ich werde ihn nicht erkennen, aber ich werde ihn weiter benutzen, meinen Gedanken recyclen, bis zum äußersten.
So geht es mir zumindest mit den Gedanken der Menschen die ich durch Zufall treffe, wie diesen Jungen im Zug nach Halifax.

Manchmal fällt es mir schwer solche wundervollen Menschen weiterreisen zu lassen, aber es ist wunderschön die Erinnerung und ihre Gedanken zu behalten. Ich denke das gehört dazu.

Dies war mit Abstand die schönste Zugfahrt meines Lebens.
ich glaube wir haben unsere Horizonte gegenseitig ein kleines Stückchen erweitert, und ich bin sicher wir werden uns eines Tages nocheinmal sehen.Sei es in Marokko, Deutschland oder Kanada. Vielleicht auch ganz woanders.

Eins ist sicher- Ich freue mich auf weitere Geschichten aus fernen Ländern und geteilte Leidenschaften für tiefsinnige Gespräche und Pistazien.

-Manchmal sieht man den Menschen nicht an wie tief ihre Gedanken sind.

Dankeschön.

Keine Kommentare: